Im Zentrum der Arbeiten von Maria Anna Bierwirth steht eine radikal auf jedwede Ornamentik verzichtende Auseinandersetzung mit Materialien als Bedingung von Objekten, Bauten und Bildern. Dabei zielt die Verwendung verschiedener Medien, von Lack über Graphit, Karton und Papier, bis hin zu Gips, Beton, Metall und industriell gefertigten Verpackungen, darauf ab, Punkte zu erschließen, an denen Prozesse der Verschränkung verschiedener Stoffe beginnen, über sich hinaus zu verweisen. Material ist für die Künstlerin mehr als ein Mittel, mit dem sie ihre Konzepte in Objekte überführt, es ist die Ausgangslage ihrer Arbeiten.
Inspiriert von brutalistischer Architektur und früher Konzeptkunst befragt Bierwirth bauliche und industriell gefertigte Gegenstände nach den Bedingungen ihrer Besetzung von Räumen, und zeigt auf, welche Interaktionen Architektur sowohl dem Material als auch den Menschen, die sie beleben, auferlegt.
In ihren drawings, paintings und sculptures bringt sie – mit ganz unterschiedlichen Akzenten – präzise eingesetzte Materialien bis an ihre jeweiligen Grenzen. Durch diese Entgrenzung und die spezifischen Zusammenstöße zeigt Bierwirth auf, dass die Formbarkeit des Materials am Material selbst ihre Grenze findet, und genau diese Grenze das definierende Moment des jeweiligen Materials ist. Das Zusammenspiel und die Wechselwirkung der Medien unter- und miteinander, die Fragilität und Ungeschütztheit der Werke im Raum sind alle zugleich Indikatoren und Bedingungen eines steten Verfallsprozesses. Dieser steht wiederum diametral zur architektonischen Intention der Beständigkeit und Stabilität. Und doch ist der Verfall eingeschrieben, und mit ihm auch auch die Pflicht zur Bewahrung.
In den paintings wird die Oberfläche der Leinwand durch den vielschichtigen Auftrag von Lack so sehr überlagert, dass der Lack selbst zur Oberfläche wird. Der Auftrag stapelt sich Schicht für Schicht und es entstehen Texturen. Die Farbe wird zur plastischen Oberfläche. Die daraus resultierende Oberflächentiefe tritt als deren Geschichtlichkeit in Erscheinung: als starrer und fester Raum, der durch die Panzerung von außen nach innen undurchdringbar wird.
In den drawings steht die Bewegung, die das Bild selbst macht, stärker im Zentrum. Hier gibt der Duktus die Leserichtung des Bilds vor. Dem Betrachter denkt Bierwirth eine aktive Rolle zu, denn durch die Einnahme unterschiedlicher Blickwinkel verändert sich das Bild. Je nach Blickrichtung treten andere Texturen, Flächen und Eigenschaften des Materials hervor. Ein Überblick wird entschieden verwehrt.
In ihren skulpturalen Arbeiten überträgt sie architektonische Elemente und Strukturen auf kleinere, “platzsparende” Objekte, die die raumgreifende Intention und Realität aggressiv inszenierter Bauten verdeutlichen. Analog und in entgegengesetzter Richtung zu den paintings, rückübersetzen die sculptures das “schichtende” Verfahren in Bilder und dekonstruieren die Suggestion der Beständigkeit einer Architektur, die das beständige Material wählt, aber damit auch sich selbst verhaftet bleibt.
Neben einer Auseinandersetzung mit der Materialität ist für alle Arbeiten der Prozess, der in und durch die Arbeiten selbst ausgelöst wird, bedeutend. In diesem Sinne wohnt allen Werken eine katalysatorhafte Selbstreferentialität inne. Die Schichtung und Überlappung des Auftrags versiegeln einerseits die Objekte, greifen diese aber auch in ihrer Substanz an. Sozialkritisch gewendet, erhalten die gesellschaftlichen Utopien, die in brutalistischen Bauten ihren architektonischen Ausdruck finden und vielerorts zu modernen Ruinen verfallen sind, in den Arbeiten Bierwirths ihre materielle Geschichtlichkeit zurück.